Mikro im Radiostudio

„Wir arbeiten gerade an einem Podcast“, „wir möchten gern in einem Podcast über unsere Arbeit reden“, „und darum wollen wir gern einen Podcast machen“ – solche oder ähnliche Anfragen erreichen Radio Blau in den vergangen Monaten en masse, nicht zuletzt hatten wir im Rahmen der Corona-Krise uns ja auch als alternativer Veranstaltungskanal öffentlich angeboten. Was ich als Projektkoordinatorin mich bei diesen Anfragen aber inzwischen immer öfter frage: wissen die Absender*innen eigentlich, was genau sie sich unter einem „Podcast“ vorstellen? Oder haben sie einfach dieses Buzzwort gehört, dass das eben jetzt „das Ding“ sei, was man während der Pandemie macht? Und was wird dabei eigentlich von uns als freiem Radio gewünscht?

„Podcast“ bedeutet ja eigentlich erstmal nur, dass ein Audioformat zeitlos online verfügbar ist. Meist als Download, manchmal auch als jederzeit abrufbarer Stream auf einer Plattform (für die man sich dann manchmal auch erst anmelden, seine Daten tracken lassen und zum Teil sogar Abos abschließen muss). Damit einher geht, dass nur sehr selten die Nutzung von Musik möglich ist, denn dafür würden ja GEMA-Gebühren fällig. Da das Veröffentlichen von solchen musikfreien Audiofiles im Internet aber recht einfach möglich ist, kann also eigentlich auch jede*r einen Podcast machen.

Hinzu kommen formale Eigenheiten, die mit der Technik zu tun haben. Podcasts werden allein gehört, meist mit Kopfhörern. Das „Pod“ des 2004 kreierten Wortes kommt schließlich von „iPod“. Klassischerweise lauschen wir Podcasts also beim Joggen, Spazieren, der ungeliebten Hausarbeit oder einsam ins Bett gekuschelt – sicher ist ihre Beliebtheit auch deshalb im letzten Jahr nochmal gestiegen. Denn ein guter Podcast ist ein Begleiter in der Isolation. Emotional und ganz nah am eigenen Denken. Oft unterhalten sich zwei Menschen vor unseren Ohren über besondere Erlebnisse, Nerd-Wissen, marginalisierte Erfahrungen oder pure Wissenschaft. Und nicht selten hört man den Podcaster*innen dabei auch beim Nachdenken zu, es wird geschluckt, wenn eine schwierige Frage kommt, Stimmen kommen ins Zittern, manchmal tropft eine Träne aufs Mikro.

In den besten Podcasts der Welt, den (meist amerikanischen) Diamanten auf diesem unendlichen Meeresboden, wird genau diese Emotionalität des Alltagserlebens mit tiefgründiger Recherche verbunden. Im klassischen durchgetakteten Rundfunk aber würden all diese Gefühle rausgeschnitten werden. Zu persönlich für das Familienfrühstück oder die Autobahnfahrt mit Opa. Öffentlich-rechtlich soll sachlich sein, nicht zu abseitig oder anekdotisch. Und Privatrundfunk glaubt, mit unechter Aufgedrehtheit und kurzen schnell gesprochenen Happen die Leute bei Laune halten zu müssen.

Nur im freien Radio – da gab es genau das schon immer: Kneipengespräche, Alltagspointen, Raum für Emotionen und wackelige Stimmen, migrantische oder queere Erlebnisse, die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung, lange Unterhaltungen zwischen besten Freund*innen, das Spezialwissen der Eigenbrötler und Geek-Girls, Nischenforschungen von begeisterten Amateur-Fans erklärt. Aber zusätzlich ist im freien Radio noch viel mehr möglich. An erster Stelle natürlich: Musik! Ausgewählte Sendungen mit Musik gibt es bei Radio Blau inzwischen auch 7 Tage lang nach der Ausstrahlung als Download oder Stream in unserer Mediathek. Als Podcast also, wenn man es so nennen will. Nur eben mit Songs, auf die man sich beziehen kann, über die sich philosophieren lässt, die aber auch einfach nur zur Stimmung des Gerade-Gesagtem passen oder den Hörer*innen Zeit geben, über das Zuletzt-Gehörte in Ruhe nachzudenken.

Doch im Radio zu senden, hat noch mehr Vorteile: man muss kein Pop-, TV- oder Instagram-Star sein, um in den endlosen Weiten des Netzes gefunden zu werden. Vielleicht hören einen sogar Menschen, die sich bisher gar nicht für das besprochene Thema interessiert haben, einfach weil die Sendung vorher denen gefallen hat und sie dran geblieben sind. Und vor allem: als Sendungsmacher*in im freien Radio wird man selbst Teil einer Community, denn hier treffen sich verschiedene Leute und machen nacheinander und das nächste Mal vielleicht auch miteinander Programm. Basisdemokratisch wird auf Versammlungen diskutiert, wie der Sender klingen soll und neue Formatideen und Projekte entstehen aus gemeinsamen Meetings. Einfach mal was ausprobieren, das eigene Konzept in einem Jahr dreimal umstülpen und trotzdem Hörer*innen auf seinem festen Sendeplatz finden – all das macht nur freies Radio möglich! Hinzu kommen bessere technische Möglichkeiten (ein echtes Radiostudio! Technik zum Ausleihen!), das unverwechselbare Kribblen im Bauch bei einer Livesendung, die Möglichkeit zu Call-In-Shows und natürlich ein direkter Draht in die Stadt hinein. Kein Podcast kann bei Demonstrationen, Straßenfesten, Fußballspielen oder Unwettern die neuesten Informationen rund um das aktuelle Geschehen vor Ort geben.

Also, wenn Ihr überlegt, mal was mit Podcast zu probieren, dann habe ich folgende Tipps für Euch:

1. Ihr könnt unseren Einstiegskurs absolvieren und dann gegen kleine Gebühren Nutzer*innen unserer Infrastruktur und gleichzeitig Teil unserer Community werden. Ihr produziert dann Eure „Podcasts“ für unser Programm selbstständig als kurzen Beitrag für Sendungen wie „Aktuell“ oder mit Musik zusammen im 1h-Format als eigene Sendung für unser Programm. Danach könnt ihr Eure Werke in unsere 7-Tage-Mediathek laden und ohne Musik weiterverwenden wo und wie Ihr wollt.

2. Wenn Ihr Nutzer*in geworden seid, können wir Euch bei Bedarf auch Tipps zur Produktion geben und manchmal gibt es auch Workshopreihen, an denen Ihr teilnehmen könnt. Für eine intensivere medienpädagogische Beratung könnt Ihr Euch an unsere Partner*innen von der Hörfunk- und Projektwerkstatt Leipzig e.V. wenden.

3. Wenn Ihr einfach mal von uns interviewt werden wollt, weil Ihr was Interessantes zu erzählen habt oder essentielle Angebote für Leipziger*innen macht, dann schreibt uns eine ganz normale Pressemitteilung oder kurze Email, warum Euer Thema oder Anliegen für unsere Hörer*innen, für unsere Stadt wichtig ist. Unsere Sendungsmacher*innen entscheiden dann, ob sie Euer Thema spannend finden. Das Interview mit Euch können wir dann dauerhaft bei freie-radios.net hochladen, damit ist es dann also auch ein „Podcast“.

4. Wenn Ihr wollt, dass eine*r unserer erfahrenen Sendungsmacher*innen für Euch eine Podcastreihe produziert, dann schickt uns gern eine Anfrage nach den Kosten für die technische und journalistische Produktion und wir erstellen Euch ein entsprechendes, auf Eure Möglichkeiten abgestimmtes Angebot – die Ergebnisse können dann sowohl, wenn Ihr wollt, in unserem Programm laufen als auch auf den von Euch anvisierten Plattformen angeboten werden.

Was uns alle verbindet, ist die Liebe zu Audio-Inhalten. Ob nun gemeinsam in der WG-Küche oder allein in der Tram, ob live über den Onlinestream und das UKW-Radio (gibt’s auch auf Eurem Handy) oder zeitversetzt als Download zum Nachhören – Euer freies Radio ist immer für Euch da, 24h rund um die Uhr!

Anja Thümmler